Lehren aus rehapro für eine inklusivere Arbeitswelt

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Person mit Hanteln und Strechband
Erwerbslosigkeit und eine beeinträchtigte Gesundheit verstärken sich wechselseitig und können zu einer Negativspirale führen.

Krank zu sein oder erkrankte Kinder oder Elternteile zu haben, erschwert es, beruflich tätig zu sein. Aber ebenso gilt, dass auch ein dauerhaftes Nichtarbeitendürfen krank macht. Betroffene und deren Familien bzw. sozialen Bezugssysteme benötigen in dieser Situation eine besondere Unterstützung und Begleitung. 

Konkretes Zahlenmaterial ist rar. Eine Studie aus dem Jahr 2015 des Instituts für Technologie und Arbeit (IAB) wies damals bei gut 40 Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten vermittlungsrelevante gesundheitliche Einschränkungen nach. Es kann vermutet werden, dass dieser Anteil zwischenzeitlich noch angestiegen ist, beispielsweise auch aufgrund der gestiegenen Fallzahlen Geflüchteter, die oft mit Traumata und Ängsten belastet in Deutschland ankommen. 

Dieser hohe Anteil machte es notwendig, das bisherige Aufgabenspektrum von Jobcentern, also die Integration erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in Arbeit, deren finanzielle Unterstützung, Beratung und Vermittlung in Arbeit sowie die Förderung von Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung zu hinterfragen. Denn dort war die Bearbeitung des Gesundheitsthemas beispielsweise eine gezielte Gesundheitsförderung parallel zur Fallweise auch vor Bearbeitung des Themas Beschäftigungsfähigkeit bislang nicht oder nur eingeschränkt möglich. 

Daher hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Jahr 2018 ein umfangreiches Förderprogramm unter dem Titel rehapro gestartet und in drei Förderwellen zur Einreichung innovativer Projektideen aufgerufen. Die letzten der darin geförderten Modellprojekte laufen teilweise noch bis 2028. 

In rehapro sollen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der gesetzlichen Rentenversicherung innovative Ansätze zur Unterstützung von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen erprobt sowie die Zusammenarbeit der Akteure in der medizinischen und beruflichen Rehabilitation verbessert werden. Ziel der dort geförderten Modellprojekte beziehungsweise der zu erprobenden Ansätzen sollte die Erhaltung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sein, vor allem unter Berücksichtigung der Grundsätze „Prävention vor Rehabilitation“, „Rehabilitation vor Rente“ sowie „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die insgesamt ca. 120 von Jobcentern und Deutscher Rentenversicherung teils in Kooperation mit freien Trägern umgesetzten rehapro Modellvorhaben erprobten u. a. wirksame Wege zur Aktivierung, Teilhabe und Integration gesundheitlich eingeschränkter Personen, aber auch zur dazu begleitend erforderlichen organisationalen Weiterentwicklung im jeweils eigenen Haus. 

Auch wenn noch nicht alle Modellvorhaben abgeschlossen sind, lassen sich aus der wissenschaftlichen Begleitung von ca. 15 Prozent dieser Vorhaben erste Erkenntnisse ableiten, die auf der Identifikation wirksamer Ansätze und dazu förderlicher Rahmenbedingungen beruhen und daher für die Verstetigung von Relevanz sein werden. 

  1. Eine erste zentrale Erkenntnis ist, dass es eine veränderte Kultur im Umgang mit gesundheitlich beeinträchtigten Erwerbslosen braucht. Die Freiwilligkeit zur Mitwirkung und die Selbstbestimmtheit in der Ausgestaltung einer Teilnahme an solchen Programmen sind hier zentral. Dabei braucht es eine zeitliche Flexibilität der Programme, um sich an die individuellen Bedarfe und Potenziale der Teilnehmenden anpassen zu können, ebenso wie eine Ergebnisoffenheit. Dies ist nur mit einem angemessenen Personalschlüssel umsetzbar, der eine deutlich höhere Kontaktdichte erlaubt als dies im Bereich der Vermittlung bislang möglich ist.
  2. Organisationsseitig – und dies ist die zweite zentrale Erkenntnis – müssen Gesundheitskompetenzen aufgebaut, psychologische und medizinische Fachexpertise sowie Coaching eingebunden, Netzwerkarbeit und regionale Kooperationen systematisiert, Datenschutzfragen über Rechtskreisgrenzen hinweg gelöst, und Haltungen in Richtung systemischer Lösungen in Kooperation mit Dritten verändert werden. 
Person läuft im Wald der Sonne entgegen
  1. Die über die Projekte gewonnenen Erkenntnisse decken sich weitgehend auch mit Ergebnissen von Untersuchungen und daraus resultierenden Evidenzen anderer Vorhaben, die sowohl die psychische Gesundheit als auch die Wiedereingliederung in Arbeit adressieren. Eine systematische Studiensichtung von Adam et al. zeigte, dass arbeitsorientierte Interventionen positive Effekte auf die psychische Gesundheit haben können, ebenso wie psychotherapeutisch orientierte Interventionen auch eine positive Wirkung auf die berufliche Wiedereingliederung haben können. Die in dieser Studie identifizierten Empfehlungen für niedrigschwellige individualisierbare Angebote für psychisch belastete Arbeitslose finden sich in zahlreichen rehapro-Projekten wieder und wurden dort praktisch erprobt und in ihrer Wirksamkeit belegt. 

Harald Weber ist seit 1992 wissenschaftlich tätig, zunächst an der Universität Kaiserslautern, ab 1995 im Institut für Technologie und Arbeit (ITA), das im selben Jahr gegründet wurde. Nach Abschluss eines Informatikstudiums (Diplom) promovierte er anschließend im Themenfeld „Arbeitswissenschaft / Ergonomie“ (Dr. rer. pol.). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Themenfeldern berufliche Inklusion / Teilhabe; Inclusive Design / Design for All; Gebrauchstauglichkeit, Barrierefreiheit & benutzerzentrierte Gestaltung von neuen Technologien; organisationale Resilienz; Evaluation von Präventions- und Teilhabeprogrammen und –initiativen. Seit 2002 ist er Mitglied des ehrenamtlich tätigen geschäftsführenden Vorstandes des ITA und seit 2018 dessen Vorsitzender. 

Beitrag aus ParitätInform 3/2025