Neue Wege mit Einzelfallhilfe

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Mann hält sich beschämt die Hände vors Gesicht
Wie Einzelfallhilfe neue Wege möglich macht – drei Geschichten aus der Stiftung Lernen-Fördern-Arbeiten.

Die Einzelfallhilfe der Stiftung Lernen- Fördern-Arbeiten zeigt, was möglich wird, wenn man Menschen nicht auf ihre Notlagen reduziert, sondern ihnen mit Respekt, Zeit und echtem Interesse begegnet. Im Mittelpunkt steht nicht schnelle Vermittlung, sondern Beziehungsarbeit, Stabilisierung und nachhaltige Entwicklung. Was das im echten Leben bedeutet, zeigen drei persönliche Wege. 

Herr G.: Von der Hoffnungslosigkeit in ein selbstbestimmtes Leben 

Herr G., 63 Jahre alt, hat jahrzehntelang mit seiner Gesundheit, seinen Ängsten und seinen inneren Wunden gekämpft. Nach einem Leben voller Rückschläge, nach einer Kindheit voller Gewalt, nach einem Körper, der nicht mehr funktioniert – blieb irgendwann nur noch Rückzug. Keine Arbeit mehr. Keine Zähne. Keine Perspektive. Seit Juni ist Herr G. Teil der Einzelfallhilfe der Stiftung – und mit jedem kleinen Schritt wächst etwas zurück, das lange verschwunden war: Würde. Er hat den Hausarzt gewechselt. Einen Klinikplatz für seine Depression gefunden. Sich – trotz großer Angst – zahnärztlich behandeln lassen. Sein neues Lächeln ist mehr als kosmetisch. Es ist ein Zeichen. Ein Neuanfang. 

„Ich bin seit 20 Jahren trocken. Aber erst jetzt traue ich mich, mir wirklich helfen zu lassen“, sagt er leise – und schaut dabei nicht mehr ganz so müde. 

Seine Hoffnung ist bescheiden – und groß zugleich: eine Teilzeitstelle. Hausmeister vielleicht. Hauptsache gebraucht werden. Ein Leben mit Sinn, Teilhabe, Selbstbestimmung. Ein Leben, das wieder ihm gehört. 

Frau B.: Wenn alles zuviel wird

Frau von hinten öffnet die Vorhänge eines Fensters

„Ich traue mich wieder raus. Nicht weit. Aber raus.“ 

Mobbing, Schlaganfall, Schmerzen, Panikattacken, Gewalt- und Verlusterfahrungen, ein Umzug ins Ungewisse – Frau B. hat fast alles erlebt, was einen Menschen isolieren kann. Lange war sie kaum noch erreichbar – weder für Ärzt*innen noch für Behörden. Im Rahmen des Integrationsbeistands wurde über Wochen hinweg Vertrauen aufgebaut. Erst dann war es möglich, gemeinsam Arzttermine zu vereinbaren, Unterlagen zu sammeln, Anträge auf Reha, Pflegegrad und Eingliederungshilfe zu stellen. Was auf dem Papier wie „Maßnahmen“ aussieht, ist im Alltag viel mehr: eine Brücke zurück ins Leben. 

Herr D.: Vom Gefängnis in die Schule 

„Ich möchte Lehrer sein – für Kinder, die auch fliehen mussten.“ 

Herr D. war Lehrer in der Türkei, bis er und seine Frau wegen ihrer politischen Haltung verhaftet wurden. Die Kinder flohen zu ihrer Großmutter und lebten versteckt. Nach seiner Entlassung floh Herr D. mit ihnen nach Griechenland, dann weiter nach Deutschland. Seine Frau ist noch bis Oktober 2025 inhaftiert. 

Dank des Projekts BeJuga fand Herr D. nicht nur Orientierung, sondern auch konkrete Wege: Er bestand den B2-Test, seine Kinder besuchen das Gymnasium und die Hochschule, seine Abschlüsse werden anerkannt. Sein Ziel ist klar: „Ich will Menschen helfen, die so viel erlebt haben wie wir.“ Diese Vision verbindet er mit tiefer Dankbarkeit: 

„Ich hätte nie gewusst, wie ich all das ohne Unterstützung schaffen soll.“ 

Diese Geschichten von Teilnehmenden an den Projekten „Integrationsbeistand – intensive Einzelberatung für Menschen mit großen Vermittlungshemmnissen“ und „BeJuga“, ein ganzheitliches Unterstützungsangebot für Familien im SGB II-Bezug mit minderjährigen Kindern, gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg, zeigen, was Einzelfallhilfe wirklich bedeutet: kein Abhaken, sondern Aufrichten. Sie erfordern Zeit, Fachwissen, Geduld – und eine Haltung, die dem Gegenüber zutraut, sich trotz Rückschlägen zu entwickeln.

Die Stiftung Lernen-Fördern-Arbeiten steht für diese Haltung. Für echte Teilhabe. Für ein Menschenbild, das Ressourcen sieht statt Defizite. Und für den Mut, an Menschen zu glauben – auch dann noch, wenn andere längst aufgegeben haben. 

Beitrag aus ParitätInform 3/2025