Pressemitteilung zur Informationskampagne „HartzFacts“

Pressemitteilung - geschrieben am 17.09.2020 - 09:41

Leben mit Hartz IV: PARITÄTISCHE Baden-Württemberg fordert armutsfeste Grundsicherung

Freiburg/Stuttgart 16.07.2020    Hartz IV ist nicht einfach nur ein Volksbegriff für eine staatliche Leistung. Es ist Stigma, ist Meinung und geprägt von Vorurteilen gegenüber Hartz IV Beziehenden. Mit einer Informationskampagne „HartzFacts“ möchte der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg über die Realität von Hartz IV aufklären. Der Verband fordert eine menschenwürdige Grundsicherung, die das Existenzminimum sichert und armutsfest ist.

„Viele Menschen haben die Vorstellung, Hartz IV Bezieher*innen sind arbeitsunwillig und haben den ganzen Tag nichts wirklich Sinnvolles zu tun. Meistens ist es Unwissenheit über die Realität von Hartz IV“, erklärt Timothy Apps, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. „Unsere Kampagne „HartzFacts“ soll mit diesen Vorurteilen aufräumen und über die Lebensrealität mit Hartz IV aufklären“, so Apps. Die grundlegende Idee des Förderns und Forderns von Hartz-IV müsse darauf ausgerichtet sein, den Betroffenen wirksame Hilfen und Perspektiven auf einen auskömmlichen Arbeitsplatz zu geben. „Menschen, die eine existenzsichernde Arbeit haben, sind gesünder, leben länger und geraten viel seltener in existenzielle Nöte“, so Apps weiter. Grundsätzlich müsse über gesellschaftliche Teilhabemodelle wie ein bedingungsloses Grundeinkommen nachgedacht werden, das mit verlässlichen und individuellen Angeboten auf Arbeit und soziale Teilhabe verknüpft sei.

Steigende Lebensunterhaltungskosten und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum verschärfen die finanzielle Situation von Hartz IV Beziehenden“, sagt Annika Beutel, Leiterin der PARITÄTISCHEN Regionalgeschäftsstelle Freiburg. Mit der Corona-Krise seien frische Lebensmittel bis zu zehn Prozent teurer geworden, dazu kämen zusätzliche Ausgaben für notwendige Schutzmaßnahmen und Hygieneartikel. „Die erhöhten Ausgaben stehen in keinem realen Verhältnis zum derzeitigen Regelsatz“, so Beutel. „Die Stadt Freiburg muss mehr preiswerten Wohnraum zur Verfügung stellen und Menschen mit niedrigem Einkommen bei den Wohnkosten entlasten“, fordert Beutel, „nur so können gewachsene nachbarschaftliche Unterstützungsnetzwerke und die soziale Infrastruktur erhalten bleiben, was die Lebensqualität erhöht und zudem Kosten spart.“

„Die finanzielle Situation von Familien darf nicht länger Gradmesser für Chancengerechtigkeit und Bildungserfolg sein“, erklärt Meral Gründer, Geschäftsführung Südwind Freiburg e.V. „Bei Hartz IV-Familien darf das Kindergeld nicht komplett auf den Regelsatz angerechnet werden“, so Gründer. Das bürokratische Nebeneinander von Transferleistungen, die auch noch gegen andere Sozialleistungen in Abzug gebracht werden, ist kein wirksames Mittel gegen Kinderarmut.

„Jedes fünfte Kind und jede*r fünfte Jugendliche wächst in einem Haushalt auf, in dem Mangel zum Alltag gehört: Mangel an Geld sowie an sozialen, kulturellen und gesundheitlichen Chancen“, erläutert Petra Schempp, Geschäftsführung Kinderschutzbundes Freiburg/Breisgau-Hochschwarzwald e.V. „Viele Familien stehen vor der Herausforderung, die finanzielle Sicherung zu gewährleisten und nebenher noch die Kinderbetreuung sowie den Haushalt zu managen. Unsere ehrenamtlichen Familienpat*innen unterstützen Alleinerziehende und Familien in besonderen Lebenslagen bei Erziehungsfragen oder geben Tipps, wie der Alltag sparsam gestaltet werden kann“, so Schempp.

 

Hintergrundinformationen:

Hartz IV steht auf dem Prüfstand: Zum 1.1.2021 steht eine Neufestsetzung der Regelsätze in der Grundsicherung für die nächsten fünf Jahre an. Im Gesetzentwurf von  Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist eine Erhöhung des Regelsatzes von derzeit 432 Euro auf 439 Euro vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den Gesetzgeber zu einer Neuregelung der Sanktionspraxis in Hartz IV aufgefordert. Die Kampagne "HartzFacts“ soll Betroffenen den Rücken stärken und politischen Druck aufbauen für eine menschenwürdige Grundsicherung.

Die Informationskampagne „HartzFacts“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und Sanktionsfrei e.V. möchte Vorurteile gegenüber Hartz IV-Beziehenden auszuräumen. Ziel ist es, Betroffenen den Rücken zu stärken und politischen Druck aufzubauen für eine menschenwürdige Grundsicherung. Die beiden Organisationen fordern eine Abschaffung der Sanktionen und die deutliche Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung auf ein bedarfsgerechtes Niveau von mindestens 600 Euro. Auf der Kampagnen-Webseite https://hartzfacts.de sind Geschichten, Fakten und Vorurteile, sowie ein Wissens-Quiz zu Hartz IV zu finden.

Gemäß dem Arbeitsmarktbericht für Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl arbeitslos gemeldeter Menschen im Land binnen Jahresfrist um 86.333 Personen auf 276.492 Menschen im Juni 2020 angestiegen. Davon entfielen 126.297 auf die Arbeitslosenversicherung (Arbeitsagenturen) und 150.195 auf die Grundsicherung (Jobcenter).

Gemäß dem Arbeitsmarktbericht der Agentur für Arbeit Freiburg i.Br. für den Berichtsmonat Juni sind derzeit 15.627 Menschen in Hartz IV-Bezug, davon 11.257 erwerbsfähig, 4.527 arbeitslos und 1.868 langzeitarbeitslos.

Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist weder konfessionell, weltanschaulich noch parteipolitisch gebunden. Mit seinen Handlungsmaximen Vielfalt, Offenheit und Toleranz steht der Verband für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. Ihm sind in Baden-Württemberg über 880 selbstständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 4.000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 40.000 freiwillig Engagierte. Weitere Infos unter www.paritaet-bw.de

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