»Sozialpolitisches Fachforum« Neckar-Alb: Was hält die Gesellschaft zusammen?

Fachinformation - geschrieben am 09.03.2021 - 19:02

»Sozialpolitisches Fachforum« am 25.02.2021

Die Corona-Pandemie zeigt einmal mehr, dass alle, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, die sozialen Hilfenetze im Land am Laufen halten und die Solidarität in der Gesellschaft stärken. Eine soziale Landespolitik muss sich daran messen lassen, ob sie die Systemrelevanz sozialer Organisationen anerkennt und Soziale Arbeit und soziales Engagement fördert. Deshalb veranstaltete der PARITÄTISCHE Regionalverbund Neckar-Alb am 25.02.2021 unter dem Motto „Was hält die Gesellschaft zusammen?“ im Vorfeld der Landtagswahl ein digitales „Sozialpolitisches Fachforum“. Dort stellten sich 14 Politiker*innen aus fünf Parteien den Fragen und Forderungen von 16 Vertreter*innen sozialer Einrichtungen.

Im Zentrum standen die Themen ‚Gesundheit und Pflege‘, ‚Arbeitsmarkt und Wohnen‘, ‚Armut, Familien und Bildung‘ sowie ‚Inklusion und Teilhabe‘, die mit den Kandidat*innen jeweils eine Stunde lang diskutiert wurden. Dabei drehte sich nicht alles um Corona, sondern um Probleme und Fragen, die durch die Krise wie unter einem Brennglas verdeutlicht und verstärkt werden. Beim Thema ‚Gesundheit und Pflege‘ zeigte sich, dass bestimmte Personengruppen noch weniger Aufmerksamkeit als sonst erhalten und die Vereinsamung von Menschen mit den psychischen und sozialen Folgen aufgehalten werden muss. Präventive Angebote und vorhandenes bürgerschaftliches Engagement brauchen jedoch Strukturen mit fachlicher Unterstützung. Pflegende Angehörige fallen zur Zeit durch alle Netze, weshalb gefordert wird, einen Rechtsanspruch für die Pflege zu Hause zu entwickeln.

In der Diskussion zum Thema ‚Arbeitsmarkt und Wohnen‘ wurde darauf verwiesen, dass Wohnen ein Grundrecht ist, von dem eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensgestaltung, aber auch Familienleben abhängt. Für soziale Organisationen ist es seit längerem eine Herausforderung, adäquaten Wohnraum für ihre Zielgruppen zu finden. Aktuell wird auf Initiative des PARITÄTISCHEN ein landkreisübergreifendes Modellprojekt in der Region auf den Weg gebracht, das Wohnraummanagement verschiedener Einrichtungen zu bündeln und zu organisieren. Es stellt sich jedoch die Grundsatzfrage an die Politik, ob der Markt oder der Staat das Grundrecht auf Wohnen verwirklichen soll.

Beim Thema ‚Armut, Familien und Bildung‘ herrschte große Übereinstimmung darin, dass frühe Unterstützung in Familien sowie von Kindern und Jugendlichen sich letztlich auszahlt, wenn es darum geht Teilhabe, Bildungszugänge und Chancengerechigkeit zu realisieren. Zentrale Strategie muss es sein, den seit Jahren bekannten negativen Zusammenhang von Bildungsstatus und Armutslage aufzuheben und insbesondere für Kinder und Jugendliche bedarfsgerechte Unterstützung anzubieten. Gefordert wird, die Kindertagespflege gesetzlich zu verankern und im Bereich der Ganztagesangebote an Schulen gute Konzepte von einer Projekt- in die Regelfinanzierung zu überführen sowie mit Fachlichkeit die Qualität zu sichern.

„Satt und sauber reicht nicht“

Die Partizipation von Betroffenen wurde schließlich bei der Diskussion um ‚Inklusion und Teilhabe‘ als immer bedeutsamer hervorgehoben. Es ist zum Beispiel eine begrüßenswerte Entwicklung, wenn immer mehr Psychiatrieerfahrene in die Vorstände rücken. Sorge bereitet den Teilnehmenden die Umsetzung des BTHG, das trotz guter personenzentrierter Ansätze auch einen hohen Bürokratieaufwand mit sich bringt, der bei knappen Personalressourcen zu Lasten von Adressat*innen und Angeboten gehen kann. Gerade die offenen Angebote, häufig sogenannte ‚Freiwilligkeitsleistungen‘, stellen das Verbindungsglied zwischen Menschen mit und ohne Behinderung dar. Es wäre eine Gefahr für die bislang erzielten Fortschritte, wenn hier Abstriche gemacht werden.

In allen vier Diskussionsrunden wurden Querschnittsthemen deutlich, die seit Jahren auf Lösung warten. Die Fachkräftegewinnung soll daher durch eine Ausbildungsoffensive und die finanzielle Besserstellung sozialer Berufe gefördert werden. Dazu gehört Anerkennung in Form verbesserter Rahmenbedingungen und weiterer Akademisierung. Ebenso muss die häufig prekäre Finanzierung von sozialen Dienstleistungen zu einer soliden Angebotslandschaft der Daseinsvorsorge weiterentwickelt werden. Die sichtbaren Planungs- und Versorgungsdefizite können nur durch eine langfristige Strategie aufgefangen werden, die mit Vertrauen in die Kompetenz der sozialen Einrichtungen und der Fachkräfte umsetzbar ist.

Dazu ist es erforderlich, die Angebote sozialer Dienstleistungen als notwendige und sinnvolle Zukunftsinvestitionen zu werten und die Nachhaltigkeit von bewährten Angeboten herauszustreichen – statt marktgerecht immer neue Innovationsfeuerwerke abzubrennen. Ein großer Wunsch der Teilnehmenden ist der Abbau von ständig höheren bürokratischen Hürden, die aus Sicht vieler Teilnehmenden die Kontrolle über die fachliche Expertise stellen. Die Bürokratie kostet viel Zeit und bares Geld, das dann andernorts fehlt. Zum Beispiel für Investitionen in die Digitalisierung im Rahmen eines strategischen Digitalpakts: Es braucht nicht nur Infrastruktur und Hardware, sondern die massive Ausweitung von Teilhabechancen für benachteiligte Menschen sowie die Unterstützung sozialer Einrichtungen bei der Systempflege und digitalen Vernetzung  auch mit Behörden.

Diskussionen weiter fortführen

Die teilnehmenden Kandidat*innen zur Landtagswahl stiegen sehr informiert und interessiert in die Diskussionen ein und wollen einige Themen für ihre Agenda mit in die neue Legislaturperiode nehmen. Wichtig ist aber zudem, die Expertise der Sozialen Arbeit zielgerichtet und kontinuierlich in die Diskussion mit der Landespolitik einzuspeisen. Die Idee wurde einhellig begrüßt, den Fachaustausch in sozialpolitischen Foren mit den Landtagsabgeordneten und PARITÄTISCHEN Mitgliedsorganisationen aus der Region regelmäßig fortzuführen. Zum Schluss betonte eine Kandidatin, dass die Diskussionen den Eindruck vermittelt haben, es gebe für die Zielgruppen der Sozialen Arbeit eine starke Lobby – der PARITÄTISCHE und seine Mitgliedsorganisationen treten für die Interessen und Rechte dieser Menschen ein.

Direktlink zum Mitschnitt: https://youtu.be/SGrV0QQmjZs

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