Maskenpflicht in Baden-Württemberg: Kommunikation für gehörlose Menschen zusätzlich erschwert - Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg und der Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg fordern zur Solidarität mit gehörlosen Menschen auf

Pressemitteilung - geschrieben am 27.04.2020 - 08:44

Stuttgart 27.04.2020             Zum Schutz vor Corona gilt ab heute in Baden-Württemberg die Mundschutzpflicht. Das trifft gehörlose Menschen besonders hart: Das Verdecken von Mund und Nase versteckt das Mundbild und die Mimik der Menschen. Das erschwert die Kommunikation zusätzlich, mahnen der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg und der Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V.. Die Verbände fordern dazu auf, in der derzeitigen Situation die besonderen Kommunikationsbedürfnisse von gehörlosen Menschen zu berücksichtigen. Gleichzeitig müsse der Erwerb der Gebärdensprache durch möglichst viele Menschen vorangetrieben werden. In Baden-Württemberg leben rund 37.000 Menschen mit Hörbehinderung, davon sind rund 10.500 gehörlos.  
 
"Die Maskenpflicht durch Corona schränkt das Leben aller Menschen ein, unabhängig davon ob sie arm oder reich, jung oder alt, behindert, gesund oder chronisch krank sind. Aber wir müssen gemeinsam alles dafür tun, uns und andere vor einer Infektion zu schützen“, betont Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. „Menschen mit eine Hörbehinderung sind von der Pflicht allerdings in einer ganz besonderen Weise betroffen. Die verdeckte Mundpartie bedeutet eine zusätzliche Kommunikationsbarriere“, ergänzt Wolfgramm weiter. "Wir möchten die Öffentlichkeit bitten, in diesen Zeiten besonders aufmerksam gegenüber gehörlosen Menschen zu sein. Die Maskenpflicht beeinträchtigt die ohnehin schwierigen Kommunikationsbedingungen noch zusätzlich, mit denen die Betroffenen tagtäglich in ihrem Alltag konfrontiert sind“, so die Vorstandsvorsitzende.
 
„Zwar sind gehörlose und schwerhörige Menschen und ihre Begleitpersonen nach Aussage des Ministeriums für Soziales und Integration von der Maskenpflicht ausgenommen. Diese Ausnahme löst die Kommunikationsbarriere jedoch nicht auf, da die hörenden Kommunikationspartner*innen, etwa bei Arztbesuchen, beim Einkaufen und im Öffentlichen Personennahverkehr eine Maske tragen“, erklärt Wolfgang Reiner, Vorstandsvorsitzender des Landesverbands der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V. „Nur die Nutzung der Gebärdensprache sichert für gehörlose Menschen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in vollem Umfang. Da nur ein sehr kleiner Teil der hörenden Bevölkerung die Deutsche Gebärdensprache beherrscht, bleibt gehörlosen Menschen in der Kommunikation mit hörenden Menschen oft kaum eine andere Möglichkeit als das Lippenablesen, wenngleich auf diese Weise nur etwa 30 Prozent der gesprochenen Worte erkannt werden können. Diese für gehörlose Menschen ohnehin schon unzureichende Kommunikation wird durch das Tragen einer Schutzmaske nun noch komplizierter“, so Reiner weiter. In der derzeitigen Situation sei für die Kommunikation in Alltagssituationen, die Verwendung von Zettel und Stift oder das Tippen auf dem Smartphone sowie die Nutzung von Spracherkennungsprogrammen als App auf dem Smartphone besonders wichtig. „Bei Berufsgruppen, die viel mit Menschen zusammenarbeiten, kann ein transparenter Mund-Nasen-Schutz zusätzlich einen Beitrag zu einer besseren Kommunikation leisten. Dieser erfüllt die Schutzfunktion in gleichem Maße, wie ein Mund-Nasen-Schutz aus blickdichtem Material“, ergänzt der Vorsitzende.
 
Simone Fischer, Beauftragte der Stadt Stuttgart für die Belange von Menschen mit Behinderung und Mitglied im Vorstand des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg betont: „Um das, was vor uns liegt, gut bewältigen zu können, müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen. Kommunikation ist die Grundlage von Teilhabe. Gerade in diesen Zeiten müssen Informationen für alle nachvollziehbar und verständlich sein.“
 
Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg und der Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg bestärken deshalb eine langjährige Forderung: Nur durch den Erwerb der Gebärdensprache durch möglichst viele Menschen ist eine barrierefreie Kommunikation möglich. Zudem müssen für essenzielle Gespräche, etwa mit medizinischem Personal, Gebärdensprachdolmetscher*innen einbezogen werden. Dies ist auch über Videotelefonie bzw. Webcam möglich.
 
 

Hintergrundinformationen:
 
Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg
Der Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V. mit seinen 29 angeschlossenen Mitgliedsvereinen und ca. 1.700 Mitgliedern versteht sich als wirtschaftliche, sozialpolitische, kulturelle und berufliche Interessenvertretung gehörloser und hörbehinderter Menschen in Baden-Württemberg. Er leistet aktiv Aufklärungsarbeit zum Thema Hörbehinderung und zur Gebärdensprache und arbeitet an einer gleichberechtigten Teilhabe hörbehinderter Menschen in allen Lebensbereichen. Dabei steht insbesondere die Förderung der Barrierefreiheit für den gleichberechtigten Zugang zu Information, Kommunikation und Bildung im Fokus.
 
Eine Liste von Dolmetscher*innen, die zum Videodolmetschen bereit sind, stellt der Berufsfachverband der GebärdensprachdolmetscherIinnen auf seiner Homepage zur Verfügung.
 
Pressekontakt: Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V., Katrin Rehfuss und Miriam Saalfrank, Referentinnen für Selbsthilfe und Öffentlichkeitsarbeit, E-Mail:
geschaeftsstelle@lv-gl-bw.de,  mobil: 0160 98677259 od. 0152 5 8736608
 

 

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