Nach der Pandemie ist vor der Krise

Fachinformation - geschrieben am 08.08.2023 - 10:55
eine medizinische Maske liegt im feuchten Laub

In den letzten 50 Jahren ist die Selbsthilfe zu einer wichtigen Säule im System gesundheitlicher Versorgung herangewachsen. Der Übergang von einer Selbsthilfegruppe zu einer Selbsthilfeorganisation ist dabei fließend. Beide leisten einen eigenständigen Beitrag zur Gesunderhaltung und Problembewältigung, insbesondere chronisch Kranker und Behinderter, aber auch von Menschen mit psychosozialen Problemen.

Während in den Anfängen die Wirkung der angestrebten Ziele der Selbsthilfe als Ergänzung zum professionellen Versorgungssystem gesehen wurden, steht heute Patientenbeteiligung und politisches Engagement für Selbsthilfeorganisationen im Vordergrund. Die Deutsche Rheuma-Liga engagiert sich gemeinsam mit den Landesverbänden in der Gesundheits- und Sozialpolitik, um die Interessen der chronisch rheumakranken Menschen in Deutschland wirksam zu vertreten. Die Ziele sind: die Verbesserung der medizinischen Versorgung, die soziale Sicherung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der Betroffenen, sowie die Erweiterung der Patientenrechte.

Betroffene selbst erläutern ihre Anliegen

„Wir als Rheuma-Liga sind in der Politik sehr aktiv – schreiben Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben und machen Termine mit Politikern –, damit sich die Gesetze im Sinne der Patienten verändern“, erklärt Marion Rink, Vizepräsidentin der Rheuma-Liga,

„dabei ist es für uns wichtig, dass bei der politischen Interessenvertretung die Betroffenen selbst den Politikern ihre Anliegen nahebringen.“

(„Um den mehr als 70 Millionen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen bei Entscheidungsprozessen des Gemeinsamen Bundesausschusses eine Stimme zu geben, wurde am 1. Januar 2004 die Patientenvertretung auf Basis des § 140f Absatz 2 SGB V ins Leben gerufen. Die Stabsstelle Patientenbeteiligung beim G-BA unterstützt die Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter bei der Wahrnehmung ihres Antrags- und Mitberatungsrechts organisatorisch und inhaltlich.“)

Appell an die Politik

Die Rheuma-Liga blickt mit großer Sorge auf mögliche Versorgungsengpässe mit Medikamenten in Deutschland und Europa. Mit Beginn der Pandemie wurden Impfstoffe gesucht und benötigt, die in der Versorgung von Rheumakran- ken schon lange im Einsatz waren. So gab es Engpässe bei Hydroxychloroquin für Lupus-Patienten, die nicht mehr auf dem Markt verfügbar waren.

„Wir hoffen sehr, dass bald ein Medikament und ein Impfstoff zur Verfügung stehen werden, mit denen infizierten und schwer an COVID-19-erkrankten Patienten geholfen werden kann“, sagt Rotraut Schmale-Grede, Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga, „dennoch darf dabei nicht die Versorgung schon von anderen, schwer erkrankten Patientengruppen außer Acht gelassen werden, die auf das Medikament angewiesen sind“.

Zeiten der Energiekrise und Raumknappheit Aufgrund des fehlenden Zugangs zu warmen Therapiebecken blieb in der Zeit der Pandemie die Versorgung von Rheumabetroffenen zunehmend gefährdet. Lehrschwimmbecken blieben geschlossen, Turnhallen und Therapieeinrichtungen boten keine freien Kapazitäten für das ärztlich verordnete Bewegungstraining/Funktionstraining der Rheuma-Liga an. Diese Bewegungstherapie besonders im warmen Wasser stellt den überwiegenden Teil der Funktionstrainingsgruppen dar. Für Rheumapatient*innen bedeutet Training im warmen Wasser weniger Schmerzen und durch die Leichtigkeit im Wasser große Bewegungsfreiheit.

Mit einem Positionspapier möchte die Rheuma-Liga eine langfristige Versorgung sichern und fordert Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen.

Selbsthilfe entwickelt Online-Strategien

In jeder Krise steckt auch eine Chance, Neues zu beginnen. Digitale Formate mit leichtem Zugang ermöglichen traditionelle Angebote wie Gruppentreffen, Online-Patiententage, Seminare und Arbeitstreffen. Digitale Technologien starten einen grandiosen Einzug ins ehrenamtliche Engagement und konnten hier Hilfesuchende und Helfer zumindest wieder vernetzen. Noch fehlt in dieser Altersgruppe die nötige Ausstattung und die vorhandenen digitalen Kompetenzen sind oft begrenzt.

Ehrenamtliches Engagement ungebremst durch die Pandemie

Entgegen der erwarteten Prognose blieb die Zahl und das Engagement der Ehrenamtlichen in der Rheuma-Liga Baden- Württemberg stabil und konnte im Bereich der Beratungsangebote und Gruppenarbeit gestärkt werden. Die Organisation von Bewegungsgruppen, welche von den Mitgliedern besonders geschätzt werden, sind nach der Pandemie jedoch keinesfalls flächendeckend und wohnortnah im Angebot. Finanzierungkosten der hohen Eintrittspreise, Raummieten, fehlendes Fachpersonal für Aufsicht und Reinigung in Hallen und Bädern sorgen für dramatische Engpässe. Bewegungstherapie in Gruppen als ergänzende Leistung zur Rehabilitation ist für viele Rheumatiker der Hauptgrund sich der Selbsthilfeorganisation anzuschließen oder sich in der Rheuma-Liga für dieses Angebot zu engagieren. Inflation und hohe Benzinpreise ermöglichen vielen Senioren keinen regelmäßigen Besuch in einem Bad, um im warmen Wasser Schmerzlinderung und Bewegungsfreiheit zu erfahren.

Druck auf Selbsthilfeverbände steigt

Laut Ärzteblatt liegen die Pro-Kopf-Ausgaben im Gesundheitswesen höher als in allen anderen Mitgliedsstaaten der EU, riesige Defizite werden uns von den Kostenträgern für das laufende Jahr prognostiziert. Nicht nur durch die Pflegereform ist mit einer Überforderung der Beitragszahler zu rechnen. Der Druck auf die gesundheitlich orientierten Selbsthilfe Verbände steigt, die Gangart wird härter, um die satzungsgemäßen Ziele zu erreichen: die Verbesserung der medizinischen Versorgung, die soziale Sicherung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der Betroffenen, sowie die Erweiterung der Patientenrechte.

Ute Witt

Sozialfachkraft

Rheuma-Liga Baden-Württemberg Bruchsal

 

Beitrag aus ParitätInform 2/2023

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